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Wellen der Veränderung oder die "Fremdheit" im Selbstbildnis

Traditionell galt das Bild als eine Art Spiegel, als Wiedergabe der sichtbaren Welt, ein Medium das quasi mit der Verdoppelung der Wirklichkeit arbeitete. Das Selbstbildnis war so gesehen eine Art Spiegelbild der abgebildeten Person. 

Dabei gibt es allerdings keine hundertprozentige Identität der Abbildung mit der sichtbaren Wirklichkeit - selbst im Realismus nicht - denn immer finden sich im Kunstwerk zugleich auch persönliche Erfahrungen oder Haltungen zur Welt.
Eun-Joo Shins Selbstbildnisse sind zunächst irritierend, man erwartet vom Porträt noch immer einen gewissen Wiedererkennungseffekt und manche Bildnisse von Shin leisten das auch, doch um bloße Identifikation, um Zuschreibung von Person und Bild geht es letztlich nicht. Eun-Joo Shin malt ja keine Passfotos. Shins Köpfe werden meist nicht statisch, sondern in heftiger Bewegung und stark verschwommen gezeigt. Kein Abbild also, sondern eher eine Maske.

Malerei kann seit der Erfindung der Fotografie keine >dokumentarische< Momentaufnahme mehr sein. Das spürte Marcel Duchamp bereits um 1912 und stellte einen "Akt, eine Treppe hinabsteigend" dar. Eun-Joo Shins Malerei beinhaltet jedoch mehr als eine Beschreibung von Bewegung, es ist vielmehr eine Innenschau, die durch Bewegung symbolisiert wird. Der Ausdruck, die Mimik steht für menschliche Regungen und zugleich für die Maskenhaftigkeit unseres Seins, für ein unbekanntes "Dahinter".
Eine eigentümliche visuelle Wirkung haben diese unterschiedlichen Gemütszustände und so dokumentiert Eun-Joo Shin tiefste Schichten der Wahrnehmung.

Dabei geht es nie um Selbst-Inszenierung, die nüchterne Beobachtung des Selbst im Raum steht im Vordergrund. Es ist der Versuch, nicht nur einen Ausschnitt, einen eingefrorenen Moment zu zeigen, sondern der fortwährenden Bewegung des Menschen in der Zeit Rechnung zu tragen.

Unsere physische Erscheinung ist in Wahrheit tatsächlich ja nicht stabil, ist nicht konstant, sondern flüchtig. Körperkonturen, -haltungen, die gesamte Persönlichkeit, all das ist der Veränderung unterworfen.
Wir sind Kinder, wir sind junge Menschen, wir sind erwachsen, wir werden alte Menschen, Greise. Wir unterliegen Stimmungsschwankungen, erleiden Angst oder haben Freude. Wer oder was ist dann die Einheit im "Ich", wenn wir uns täglich unmerklich ändern?
Wer sind wir? Sind wir lediglich eine Schnittmenge aller Möglichkeiten, die wir dann Person nennen? Ist das, was wir Person nennen, nur ein vereinbarter Kontext, um Ordnung in unsere zerrinnenden "Ich"-Vorstellungen zu bringen? So gesehen zeigt uns Eun-Joo Shin die Wellen der Veränderung in der "conditio humana".
Um die existenziellen Wahrheiten, die alle Menschen verbinden, machen wir uns im Alltag allerdings nur wenig Gedanken.
Eun-Joo-Shin zeigt diese Selbst-Bildnisse nicht zufällig im Rotlichtbezirk von Stuttgart. Denn: es ist ein interessanter Ort, um über Begierden, Vorstellungen, über Erwartungshaltungen, über unausgesprochene Unterstellungen, über Geschlechterrollen und Vorurteile nachzudenken.

Man macht sich leicht ein "verfestigtes" Bild vom Menschen, von Männer- und Frauenrollen, von Nationalitäten.
Eun-Joo Shins Selbstbildnisse blicken aus dem Fenster wie Prostituierte, die auf einen Freier warten. Das ist einfach und komplex zugleich.
Shin stellt sich die rhetorische Frage, ob den Betrachtern, den "Augenfreiern" auch gefällt, was Sie aus diesen Bildern anblickt?
Rhetorisch ist die Frage deswegen, weil Eun-Joo Shin ganz genau weiß: es sind auf jeden Fall andere Bilder, als jene, die wir uns gewöhnlich von Menschen machen, anders als jene Bilder und Vorstellungen, die wir so oft gedankenlos konsumieren.
Es geht in ihrer Arbeit gerade nicht um die Befriedigung von Augenlust, sondern um das Drama, das Menschsein bedeutet.

Es sind Körper-Bilder, Seelen-Bilder, Erinnerungs-Bilder, die dem klassischen Selbst-Bildnis eine neue Dimension hinzufügen, dem folgend, was C.G. Jung meint, wenn er schreibt: "die Symbole des Selbst entstehen in der Tiefe des Körpers".
Eun-Joo Shins Spiegelblicke werfen uns eben nicht auf die Augen-Blicke der menschlichen Eitelkeit zurück, sondern sie dehnen Körper und Zeit und zeigen wie die Zeit am Körper arbeitet, es ist geradezu eine Verschmelzung des "Ichs" mit der Zeit.
Genau dieses Drama, das wir alle unmerklich erleben, wird uns dann doch als "Spiegel" vor die Augen gehalten.
Dieses Ich, das Eun-Joo Shin uns in ihren Selbstbildnissen zeigt, ist nichts weniger als eine Selbst-Bespiegelung, denn:

Wir sind mit im Bilde.

Wolfgang Heger M.A.
Textbeitrag aus dem Katalog "Eun-Joo Shin: Ich in Bewegung", 2003

Die Künstlerin Eun-Joo Shin stammt aus Südkorea und lebt seit 1996 in Deutschland. Nach ihrem Studium in Seoul und einem Studium der Freien Grafik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart lebt und arbeitet sie heute in Frankfurt am Main. Da sie sich bereits an unseren Jahresausstellungen 2004 und 2005 beteiligt hat, dürften sie und ihre Arbeit bereits dem einen oder anderen bekannt sein. Nicht zuletzt auch, weil 2004 eines ihrer Werke von der Stadt Trossingen angekauft wurde und seitdem an einem Fenster des Trossinger Bürgerbüros sowohl von außen als auch von innen betrachtet werden kann. Es handelt sich dabei um ein beidseitiges Selbstporträt, das eine Beziehung zwischen Innen- und Außenraum herstellt, indem es von innen gesehen nach außen und von außen gesehen nach innen weist.
Damit sind bereits zwei zentrale Themen der Kunst von Eun-Joo Shin – Porträt und Raumbezug – genannt, die sie auch mit dieser Ausstellung im Bau V erneut aufgreift und weiterführt. Zwei weitere Themen sind die Auseinandersetzung mit sich selbst, der eigenen Herkunft und Mentalität, sowie bestimmten Orten, wie in diesem Fall dem Bau V und der Staatlichen Hochschule für Musik Trossingen. Auch das erwähnte Selbstporträt befindet sich – für alle sichtbar – gegenüber des Eingangs der Hochschule und kann somit insbesondere von Studierenden im Vorbeigehen wahrgenommen oder auch ignoriert werden. Mit dieser Ausstellung im Bau V geht Eun-Joo Shin diesbezüglich noch einen Schritt weiter, indem sie sich im Vorfeld mit einer ganzen Reihe von Studierenden der Musikhochschule unterhalten, sie teilweise mit ihren Instrumenten fotografiert und anschließend in ihrem Frankfurter Atelier gemalt hat. Entstanden sind dabei insgesamt 22 Porträts asiatischer Musikstudentinnen und -studenten – darunter Koreaner, Japaner, Chinesen und Mongolen –, die nun am und im Bau V zu sehen sind.
Jáchym Fleig hat 2002 mit seiner Installation „occupation“ diesen Raum, um nicht zu sagen: das ganze Gebäude neu erschlossen, nachdem dieses jahrelang brach lag. Im Anschluss hat der Kunstverein hier mehrere Folgeausstellungen durchgeführt. Bis auf die raumbezogene Arbeit von Oliver Christmann sind diese, oder zumindest noch Reste davon, im Raum verblieben. Im letzten Jahr wurde diese Ausstellungsreihe nicht hier im Bau V, sondern auf dem Trossinger Marktplatz weitergeführt, wo der Münchner Künstler Daniel Bräg für nur einen Tag seinen „Großen Apfelmarkt“ aufgebaut hat.
Die Ausstellung von Eun-Joo Shin ist somit die siebte in dieser Reihe raum- und ortsbezogener Ausstellungen. Neben dem thematischen Bezug zur Musikhochschule zeigt sich dies vor allem in den beiden Bildnissen eines koreanischen Sängers und einer chinesischen Sängerin in Aktion, die durch zwei geöffnete Fenster bereits von der Straße aus zu sehen sind. Wie bei der Arbeit im Bürgerbüro oder früheren Installationen wie etwa „Ich in Bewegung“ im Stuttgarter Künstlertreff bilden diese Darstellungen gleichsam ein Scharnier zwischen dem Außenraum, der Wandfläche und dem Innenraum, in dem weitere Bildnisse ausgestellt sind. Sie ziehen unsere Blicke auf sich, machen uns neugierig auf das, was sich hinter den Fenstern und Mauern des Gebäudes abspielt und geben mit den Themen Musik und asiatische Physiognomie bereits einen Vorgeschmack auf das, was uns dort erwartet. Zudem vermitteln sie zwischen einer Kunst im öffentlichen Raum, wie sie etwa von Ottmar Hörl und Jürgen Knubben erst vor kurzem auf Trossinger Kreisverkehren installiert wurde und einer Kunstausstellung in einem abgeschlossenen Galerieraum, in den sich nur Kunstinteressierte begeben.
Der Titel „FarbTon Ost“ verweist auf drei weitere Aspekte dieser Ausstellung: Malerei und Farbe, Musik sowie die fernöstliche Kultur, der sowohl die Künstlerin als auch die Porträtierten angehören. Eun-Joo Shins Malerei ist dabei reduzierter, heller und transparenter als ihre früheren Werke. Die unbehandelte weiße Leinwand bleibt wie bei einer Grafik als Hintergrund ebenso stehen wie die Verläufe nach unten rinnender, verdünnter Farbe, sodass der Entstehungsprozess der Arbeiten nachvollziehbar wird. Die einheitliche Beschränkung auf helle Gelb-, Blau- und Grüntöne sowie wenige Rot- und Brauntöne fügt sich nicht nur in die Farbigkeit des Ausstellungsraums ein, sondern verleiht der Malerei im Zusammenspiel mit einem geringem Kontrast und zarten Farbübergängen auch Leichtigkeit und Spontaneität.
Mit „Ton“ ist demnach sowohl der Farbton als auch das Motiv der Bilder gemeint. Dargestellt sind wie gesagt Studierende der Trossinger Musikhochschule, und zwar in zwei unterschiedlichen, um nicht zu sagen: gegensätzlichen Posen: Entweder weltabgewandt, in ihr Spiel vertieft, wobei Instrument und Interpret eine untrennbare Einheit zu bilden scheinen und die Konzentration und Anspannung, aus der heraus Musik entsteht, spürbar wird; oder aber weltoffen, dem Betrachter zugewandt und lächelnd.
Eun-Joo Shin geht es hier offenbar weniger um eine genaue Wiedergabe der äußeren Erscheinung des Porträtierten als um das Erfassen seiner Persönlichkeit sowie des Wesens von Musik. Dabei verdeutlichen ihre Bilder, dass eine Person nicht nur Individuum, sondern auch von einem Kulturkreis, wie in diesem Fall dem asiatischen, geprägt ist. Dieser kulturelle Hintergrund und seine Rezeption in der westlichen Welt wird von der Künstlerin durchaus mit Selbstironie ins Bild gesetzt, wie bereits frühere Titel von Bildern und Installationen, darunter „Gelblichtmileu“, „ … aus dem Land des Lächelns“ oder „Blau, Grün und 2 x Gelb“ verraten.
In den Bildern von Eun-Joo Shin durchdringen sich somit die Klischees des immer lächelnden bzw. des meditativ gestimmten Asiaten und die tatsächliche Persönlichkeit des Dargestellten. Den Porträtierten selbst wie auch dem der asiatischen Kultur fern Stehenden bieten die Exponate Gelegenheit, beides zu ergründen und zu reflektieren.

Dr. Ferdinand Messner M.A.
Vortrag anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "FarbTon Ost"
am 22.7.2007 im Kunstverein Trossingen

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